Sara Rohner

Sara Rohner - Rosmarie Vogt-Rippmann

Titel
Sara Rohner - Rosmarie Vogt-Rippmann
Datum
12. November 2011 - 11. Dezember 2011
Adresse
Schaffhausen
Beschreibung

Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Rosemarie, liebe Sara

Die Zeitung dient in erster Linie der Verbreitung von Informationen und ist Lesestoff für Wissbegierige. Wenn Sie Zeitung lesen, dann blättern Sie doch wohl erst zu dem Ressort, das Sie am meisten interessiert, vielleicht der Sportteil, die Politik, die Aktienkurse oder den meist mageren Kulturteil. Dann lassen sie Vieles grosszügig aus, überfliegen noch einige Überschriften und bleiben an dem einen oder anderen Bild hängen, bevor die Zeitung auf dem Altpapierstapel landet.
Zeitung ist Information, sie ist aber auch Material. Für Rosemarie Vogt-Rippmann und Sara Rohner sind diese beiden Aspekte ein wichtiger Ausgangspunkt für ihre Arbeiten. Und: Die beiden Künstlerinnen lesen die Zeitung mit einer Schere in der Hand.

Im Wort „Zeitung“ ist das Wort „Zeit“ enthalten und damit auch die Idee des Prozesshaften. Rosemarie Vogt-Rippmann interessiert sich für die Zeitung als Werkstoff und für Verwandlungen, die das Material durch die künstlerische Bearbeitung erfährt. Buchstaben, Worte, Schlagzeilen und Bilder verschwinden in ihrem Arbeitsprozess. Sie experimentiert mit der Basis der Papierherstellung, mit der Papiermaische, und formt diese zu dreidimensionalen Objekten. Immer wieder wird sie von der Frage geleitet, welche Eigenschaften dem Werkstoff innewohnen, wie er sich formen lässt und verhält, wenn er mit Gerätschaften, der Hand oder mit Farbe gestaltet wird.
In der Ausstellung ist eine grosse Auslegeordnung zu sehen. Wie Versatzstücke einer Sprache, wie ein Vokabular, breitet die Künstlerin ihre Sammlung von Objekten vor uns aus. Anstatt eines üblichen musealen Sockels wählte Rosemarie Vogt-Rippmann Schaltafeln als Ausstellungsdisplay für ihre Pappmaché-Objekte. Die an den Arbeitsprozess erinnernde Präsentationsform zeigt nicht nur das Werk, sondern auch eine Haltung. Das Experiment und die Erprobung des Materials sind Ausgangspunkt und Prozess zugleich. Aus einem Objekt werden viele: variieren, testen, und neu zusammensetzen sind elementare Tätigkeiten. Auch das Scheitern und Verwerfen gehören als positive Antriebskraft zu diesem Prozess. Die „ZWETSCHENSCHICKSALE“, so der Titel der Objekte, sind folglich kein Ausdruck eines Mangels oder einer Krise, sondern ein sehr dynamischer und humorvoller Umgang mit Bestehendem: In einigen der Pappmaché-Körper sind nämlich ältere Objekte eingeschlossen. Was vorher aussah wie gedörrtes Obst, wurde in Anlehnung an die bestehende Form von Rosemarie Vogt-Rippman „frisch“ verpackt. Wenn Sie also heute Ihr Herz an eines dieser Objekte verlieren, dann können sie eigentlich zwei Zwetschgenschicksale Ihr Eigen nennen.
Einen Einblick in das Innenleben einiger Objekte erhalten Sie mittels der Röntgenbilder: Sie lichten vor allem die Konstruktion der Formen ab, die zur Stabilisation gebildet wurden und übersetzen die eigentlich dunkle, unsichtbare Innenwelt in ein Bild, dessen Zweck das Augenmerk auf andere Prioritäten als die Gestaltung legt.
Die Auseinandersetzung mit dem bestehenden Werkkorpus geschieht bei Rosemarie Vogt-Rippmann häufig basierend auf dem Kontrast von „alt und neu“. Das Wiederverwerten ist zu einer Methode geworden: Mit den neuen Aussenhüllen werden die bisherigen Arbeiten „recycelt“ – das Atelier ist schliesslich schon übervoll! Es ist ein wenig so, als würde ein Faden aus einer erzählten Geschichte wieder in eine neue eingewoben werden.
Zur heute eröffneten Ausstellung erscheint in einer limitierten Auflage eine Übersicht über die letzten 20 Jahre künstlerischer Tätigkeit – wie könnte es anders sein – auf Zeitungspapier. Diesmal steht die gedruckte Information im Vordergrund. Mit Fotografien, Zeichnungen und einigen Gedanken zu den Arbeiten lässt Rosemarie Vogt-Rippmann in dieser persönlichen Zeitung ihre Arbeitsweise und ihre Werke „Revue“ passieren. Der Titel „Revue“ ist eine wunderbare Bezeichnung und ein Denkanstoss: Nebst der etwas nostalgischen Anlehnung an Magazine und Zeitschriften vergangener Zeit, ist auch seine Bedeutung im Sinne der „Show“ und des „Bühnenstückes“ eine anregende Metapher für Rosemaries Auslegeordnung. Vieles, was Sie in der Revue sehen können, existiert aufgrund der eben geschilderten Arbeitsweise nicht mehr. Wechseln ihre Objekte nach einer Ausstellung, nach ihrer „Aufführung“, nicht den Besitzer, wandern sie als Werkstoff ins Atelier der Künstlerin. Dort werden sie zum Materiallager für neue Arbeiten. Die Geste des Loslassens, das Freigeben und im positiven Sinne das Verwerfen zugunsten eines neuen Entwurfs ist nicht nur ein Zeichen der Nachhaltigkeit oder der Platzökonomie. Es ist vor allem ein erfrischendes, befreiendes und selten so leichtfüssig praktiziertes Experiment der Kreativität.

Während bei Rosemarie Vogt-Rippmann der Informationsgehalt in der Maische des Papiers verschwindet, zerschneidet Sara Rohner die Tageszeitungen sorgfältig im Hinblick auf ihre Interessen am Bild.
Alle hier im Vebikus gezeigten Arbeiten basieren auf derselben Basishandlung: Sara Rohner wählt ein oder zwei abgedruckte Fotografien auf einem Zeitungsbogen aus und kontextualisert diese in einen gemalten Raum. Das Zeitungsbild ist dabei Ausgangspunkt für eine eigene, durch Malerei erweiterte Bildkomposition.
Für die neueste Reihe von Arbeiten, die den Titel „BILDRÄUME“ tragen, arbeitet Sara Rohner direkt auf die Bögen von Zeitungen. Bewegungen, Farben, Formen und Raumausschnitte werden aufgenommen und bilden die Grundstruktur für die entstehende Bildkomposition.
Das Geschehen aus der Tagespresse wird sofort in unserer Erinnerung abgerufen: Wir Betrachter erkennen freudige und traurige, alltägliche und ungewöhnliche Ereignisse wieder oder bekommen die Konsequenzen menschlichen Handelns vor Augen geführt: Da blickt der kürzlich verstorbene Loriot schelmisch hinter dem roten Bühnenvorhang hervor, ein scharlachroter Fluss zeugt vom artungerechten Walfang, vor dem neuen Wandanstrich stehen die Bilder zur Neuhängung im Kunsthaus Zürich bereit oder mit Menschen gefüllte Boote drohen unter ihrer Last zu brechen. Wir wissen, dass sie nicht an ein Ufer schwimmen werden können und das „Meer“ von Anzeigen, dass unter dem zarten Hellblau des Wassers schimmert, teilt uns mit, dass sie nur eine Kurzmeldung neben dem Inserat zur Preissenkung sind.
Immer bleibt das Zeitungsbild als fotografisches Bild, als Abbild der Gesellschaft, bestehen, während die Künstlerin Linien ergänzt und damit neue Bilder mit völlig anderen Botschaften kreiert oder eine bereits enthaltene Bildidee deutlich verstärkt. Durch die Übermalung von Kontext, Bildunterschrift und Artikel rückt Sara Rohner einerseits den Interpretationsspielraum von Bildern ins Zentrum. Andererseits erhalten Bildelemente, die durch den Rand der Fotografie beschnitten werden und damit in der Bildebene die Funktion des Hintergrundes oder eines beiläufigen Elementes innehatten, eine Erweiterung im gemalten Raum:
Loriot wird immer kleiner inmitten des samtenen Vorhangs, der vom Walblut rotgefärbte Fluss scheint sich gerade zu in den Bildvordergrund zu ergiessen. Die prallen Erdbeeren präsentieren sich als kontrastreiches Sinnbild von Überfluss, Wohlstand und Sorgenfreiheit gegenüber dem in den Hintergrund gerückten Einblick in ein libysches Gefängnis.
Das Interesse am Raum finden wir auch in den „SEELENKARTEN“. Die etwa 80 postkartengrossen Bilder im Eingangsbereich zeigen jeweils Kombinationen aus Räumen und aus Zeitungen ausgeschnittene Figuren. Beim Schauen betritt man physisch einen intimen Bildraum. Intimität geht auch von den Bildern und den Befindlichkeiten der Figuren aus. Der Betrachter lässt seinen Blick wie ein Voyeur in unterschiedliche Räume schweifen.
Während die Hängung der Seelenkarten in Form von „Wolken“ oder „Schwärmen“ den Einblick in eine Vielzahl von Räumen gewähren, experimentiert Sara Rohner in der Bildkomposition „RAUMFOLGE VEBIKUS KAMMGARN“ mit der Perspektive in einem einzigen Raum. Als würde sich der Blick in mehrere Perspektiven aufspalten, zeigt die aneinandergereihte Abfolge den Innenraum dieses Ausstellungsraumes. Wie Tänzer scheinen hier die Figuren ihre Posen zu präsentieren oder ihr Verhältnis zum Raum zu erproben. Konsequent überführt Sara Rohner ihre Reflexionen über den Raum in den tatsächlichen Ausstellungsraum. Die RAUMFOLGE VEBIKUS KAMMGARN ist extra für die gemeinsame Ausstellung von Rosemarie Vogt-Rippmann und Sara Rohner im Vebikus entstanden und lädt Sie ein, sich ebenfalls mit ihrem Verhältnis zum Raum zu den Objekten auseinanderzusetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Marianne Wagner

Partizipierende
  • Institution:
  • Vebikus Kammgarn